Gründungen im geschützten Raum

Um Innovationen voranzubringen, setzen einige Unternehmen im Chemie- und Pharmabereich auf Intrapreneurship-Programme, mit denen Mitarbeiter zu Unternehmern werden. Ausgründungen sind dabei ausdrücklich erwünscht – obwohl kluge Köpfe dann auf eigene Rechnung arbeiten.

Von Steffen Ermisch

Seinen „Unabhängigkeitstag“ hat Max Siebert am 11. Januar 2023 gefeiert: Nach Jahren als Angestellter bei BASF machte sich der Materialwissenschaftler mit seinem eigenen Unternehmen selbstständig. Replique , so der Name des Start-ups, hat sich viel vorgenommen: Als Auftragsfertiger will es den 3-D-Druck von Metallen, Polymeren und Keramiken massentauglich machen.

Wir bieten ein weltweites Produktionsnetzwerk, in dem Bauteile lokal und auf Abruf gefertigt werden. Unternehmen können so Lagerbestände reduzieren und dadurch Kosten senken.

Max Siebert, Co-Founder von Replique GmbH

Daran, dass Siebert den Sprung ins Unternehmertum gewagt hat, hat sein alter Arbeitgeber BASF einen hohen Anteil. Denn im Start-up-Brutkasten „Chemovator“ fördert der Ludwigshafener Konzern gezielt Ausgründungen von Mitarbeitern. Knapp zwei Jahre lang konnten Siebert und seine Mitgründerin Henrike Wonneberger am Fundament für Replique arbeiten – unter dem sicheren Dach des Konzerns und bei festem Gehalt. „Der große Vorteil ist, dass man nicht sehr tief fällt, falls es schiefgeht “, sagt Siebert.

Max Siebert und Henrike Wonneberger, Co-Founders von Replique GmbH

Der BASF-Inkubator hat seit 2018 neben Replique noch fünf andere Start-ups hervorgebracht, drei weitere wurden in Konzernbereiche eingegliedert. Im Chemovator bekommen die Teilnehmer Rat von Start-up-Experten und entwickeln ihre Idee vom groben Konzept bis zu funktionierenden Geschäftsmodellen. Inklusive sind praktische Hilfen im Tagesgeschäft – etwa bei Buchhaltung oder Personalwesen – und Kontakte zu potenziellen Investoren. Was für die Gründer wie ein Trainingslager ist, ist für den Konzern Teil des Innovationsprozesses.

Man fördere so Geschäftsmodelle, „die außerhalb des Kerngeschäfts liegen und nicht innerhalb der Konzernstrukturen weiterentwickelt werden“, erklärt Jennifer Kürner, Kommunikationschefin des Chemovators.

Test für neue Geschäftsmodelle

Mit einem ähnlichen Ansatz sind auch viele andere Unternehmen unterwegs, wie eine aktuelle Studie der Universität Bayreuth und des August-Wilhelm Scheer Instituts in Saarbrücken zeigt. Demnach finden sich quer durch alle Branchen sogenannte Intrapreneurship-Programme, mit denen etablierte Organisationen den Unternehmergeist von Mitarbeitenden fördern. Von den 481 befragten Firmen im deutschsprachigen Raum gab mehr als jede zweite an, nach innen gerichtete Intrapreneurship-Programme zu haben.

Verbreitung von Intrapreneurship-Aktivitäten
Quelle: Intrapreneurship Monitor 2023; Universität Bayreuth – Institut für Entrepreneurship & Innovation

In der Praxis sind diese Programme unterschiedlich ausgestaltet, die Stoßrichtung aber ist immer gleich. „Das Ziel dieser Intrapreneurship-Aktivitäten auf Mitarbeiterebene ist es, neue Geschäftsfelder sowie Geschäftsmodelle zu schaffen und die Organisation damit insgesamt innovativer und erfolgreicher aufzustellen“, schreiben die Autoren des „Intrapreneurship-Monitors 2023“.

Anders als bei Beteiligungen an externen Start-ups stünden dabei Innovationen im Vordergrund, die „stark an bestehenden Kunden und Produktportfolios angelehnt“ seien. Der Grundgedanke ist simpel: Mitarbeiter kennen die Branche genau und erleben in ihrem Arbeitsalltag immer wieder, wo Kunden der Schuh drückt. Doch die Hürden zu einer Gründung sind oft größer als bei Menschen, die gerade frisch von der Hochschule kommen.

Wenn man einmal eine Konzernkarriere eingeschlagen hat, schätzt man sehr die Sicherheit und Planbarkeit. Und mit Familie hat man auch schnell einiges an Verbindlichkeiten.

Max Siebert, Co-Founder von Replique GmbH

Im BASF-Chemovator konnte er seine Idee ausprobieren – mit der Sicherheit, bei einem frühen Scheitern wieder in den alten Bereich zurückkehren zu können.

Gelebte Personalentwicklung

Wenn aus Programmteilnahmen keine Ausgründungen oder neue Geschäftseinheiten hervorgehen, kommt zumindest die Personalentwicklung voran. Bestehende Mitarbeiter könnten „Tätigkeitsfelder auf eine Weise erweitern, die ihre kreativen Fähigkeiten und ihr unternehmerisches Denken fördern“, schreiben die Autoren der Studie. Nicht zuletzt deswegen sind Intrapreneurship-Aktivitäten oft auch der Personalabteilung zugeordnet.

Fachliche Verankerung der Intrapreneurship-Aktivitäten
Quelle: Intrapreneurship Monitor 2023; Universität Bayreuth – Institut für Entrepreneurship & Innovation

Während BASF mit seinem Chemovator besonders umfassend vorgeht, sind andere Chemie-, Pharma- und Medizintechnikunternehmen in Deutschland zurückhaltender. Laut der Studie haben zwar 40 Prozent der befragten Branchenunternehmen Intrapreneurship-Programme. Doch nur wenige werben öffentlich mit dem Schlagwort oder haben Programme aus der Vergangenheit nicht fortgesetzt.

Der Leverkusener Chemie- und Pharmakonzern Bayer etwa organisierte laut der Schweizer Beratung Strategyzer über drei Jahre lang ein Intrapreneurship-Programm in einem Innovations-Accelerator. Den Angaben zufolge wurden aus 400 Vorschlägen von Mitarbeitern 74 Projekte für drei Monate finanziert, nach weiteren Runden wurden letztlich fünf Innovationsideen umgesetzt. Beim Werkstoff-Konzern Covestro gab es zwischenzeitlich eine „Start-up Challenge“, bei der ein Gewinnerteam ein Jahr lang an seiner Idee arbeiten konnte. Aktuell verfügt das Unternehmen über ein Ideenmanagement-Programm, das den Innovationsgeist stärken soll.

Neue Sparsamkeit bremst Intrapreneurship-Aktivitäten

Als Dämpfer für Intrapreneurship-Programme wirkt laut Uni Bayreuth die angespannte wirtschaftliche Lage. Gegenüber der Vorjahresstudie seien die Aktivitäten zurückgegangen, „bedingt durch finanzielle Herausforderungen und gestiegene Rentabilitätserwartungen“. Denn: Die Intrapreneurship-Programme verursachen erst einmal Kosten – mit ungewissem Ausgang. Der Studie zufolge gelingt es Unternehmen mit Intrapreneurship-Abteilungen zwar besser, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Doch die Erfolge seien nicht sofort sichtbar – und mitunter schwer an harten Kennzahlen messbar.

Objektive Erfolge von Intrapreneurship
Quelle: Intrapreneurship Monitor 2023; Universität Bayreuth – Institut für Entrepreneurship & Innovation

Befürchtet wird oft zudem oft, dass Unternehmen bei Ausgründungen Leistungsträger abhandenkommen. Auch Jennifer Kürner vom Chemovator kennt das Argument. Sie verweist darauf, dass gemessen an der Mitarbeiterzahl der Anteil der „Intrapreneure“ vergleichsweise gering sei.

Gleichzeitig handelt es sich um Menschen, für die der Weg in die Selbstständigkeit eine attraktive Alternative ist.

Jennifer Kürner, Kommunikationschefin des Chemovators

Dank des Programms profitiert der Konzern von erfolgreichen Ausgründungen: Der Chemovator hält stets einen Minderheitsanteil. Wird das Start-up später aufgekauft oder schafft gar einen Börsengang, springt für frühe Investoren in der Regel eine satte Rendite raus.

Im Fall von Replique gibt es noch eine weitere Querverbindung zum ehemaligen Mutterkonzern: „Aus BASF ist mit Forward AM ein neben anderen für uns bedeutender Materiallieferant hervorgegangen“, erklärt Gründer Siebert. „Die damit einhergehende Expertise im Bereich Materialien bietet uns einen entscheidenden Vorteil in der Industrie.“ Dass sein Ansatz praxistauglich ist, hat das aktuell 16 Mitarbeiter große Start-up in Pilotversuchen mit 70 Unternehmen bereits bewiesen: Hergestellt wurden unter anderem schon Ersatzteile für Schiffsmotoren, Staubsaugeraufsätze sowie Türstopper in Zügen. Mit ersten Kunden gehe es nun in die Serienproduktion, so Siebert.

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