Leistungssteigerung durch Predictive Maintenance

Wartungsarbeiten an Maschinen und Anlagen kosten Zeit und Geld – und können sogar zu Ausfällen führen. Doch was wäre, wenn man Wartungsarbeiten nicht mehr auf Verdacht durchführen müsste, sondern nur dann, wenn sie wirklich notwendig sind? Genau das verspricht Predictive Maintenance – eine Technologie, die durch intelligente Datenanalyse den Wartungsbedarf von Maschinen vorhersagt.

Von Dirk Mewis

Es ist der Albtraum jedes Managers: Die Fabrik steht still und Geld wird verbrannt. Eine Maschine geht kaputt, die Stromversorgung ist gestört oder eine wichtige Anlagenkomponente ist defekt, und die ganze Anlage steht still. Ausfallsicherer, zeitsparender und kosteneffizienter: Im Industriepark Höchst wird Predictive Maintenance, also vorrausschauende Wartung, genutzt, um die Anlagen und den „Gesundheitszustand“ der Maschinen zu analysieren und festzustellen, ob etwas repariert werden muss. Wartungstechniker haben deshalb flächendeckend Sensoren installiert, die Vibrationen, Temperatur und andere Parameter messen. „Durch die Digitalisierung wird es möglich, mithilfe von Sensoren die Zustände von Anlagenkomponenten permanent zu kontrollieren. So können die kleinsten Abweichungen vom Normalbetrieb sofort identifiziert und bewertet werden. Faktoren wie Änderungen im Schwingungsverhalten oder im Klangbild weisen unter Umständen bereits auf eine sich anbahnende Störung hin“, erklärt Dirk-Harald Bestehorn. Er ist Projektverantwortlicher bei der Infraserv Höchst Prozesstechnik GmbH, einer Tochtergesellschaft des Industriedienstleisters Infraserv Höchst.

Die Grundidee ist, zustandsorientiert an die Maschinen heranzugehen statt nach einem festen Wartungsintervall. Wartungen werden nur dann durchgeführt, wenn sie tatsächlich erforderlich sind.

Dirk-Harald Bestehorn, Projektverantwortlicher bei Infraserv Höchst Prozesstechnik GmbH

Instandhaltungskosten und ungeplante Ausfälle verringern

Predictive Maintenance gilt als eine der Kernkomponenten von Industrie 4.0. Die vorausschauende Wartung „lernt“ von bereits früher erhobenen und von in Echtzeit verfügbaren instandhaltungsrelevanten Daten. Dadurch können im Idealfall zukünftige Ereignisse vorhergesagt werden.

Die Prognosen ermöglichen dann die bedarfsorientierte Planung von Service- und Wartungsaktionen und maximieren die Verfügbarkeit von einzelnen Maschinen und sogar von ganzen Anlagen. Auf diese Weise lassen sich die Instandhaltungskosten um bis zu ein Drittel und ungeplante Ausfälle um bis zu drei Viertel verringern, stellt der Halbleiterhersteller Infineon unter Berufung auf das U.S. Department of Energy fest. Und eine aktuelle Studie der Management- und Technologieberatung BearingPoint zeigt: Inzwischen setzt bereits jedes dritte Unternehmen Predictive-Maintenance-Projekte über die Pilotphase hinweg um. Über 200 Unternehmen aus den Bereichen Maschinenbau, Chemie und Pharmazie sowie der Automobilindustrie wurden für die Studie befragt.

Reifegrad und Implementierungsansätze von Predictive Maintenance-Projekten

Quelle: BearingPoint GmbH, Predicitive Maintenance Studie 2021

„Bei Infraserv Höchst wurde der Ausbau von Internet-of-Things(IoT)-Technologien von einer eigenen Taskforce vorangetrieben“, erinnert sich Dirk-Harald Bestehorn. „In diesem Zusammenhang haben wir zunächst ein ‚Long Range Wide Area Network‘ (LoRaWAN) eingerichtet. In einem der ersten Use-Cases installierten wir in verschiedenen Anlagen 120 Sensoren für das Schwingungs-Monitoring an Pumpen, Motoren und Lüftern.“ Sie sind die Basis, um die Instandhaltung der Anlage zu optimieren. In der sternförmigen Netzarchitektur kommunizieren die Sensoren im Industriepark und innerhalb der Anlagen über Gateways mit einem zentralen Server, der Schnittstellen zu IoT-Plattformen und -Applikationen bietet. Der besondere Vorteil von LoRaWAN gegenüber anderen WLAN-Lösungen liegt in der großen Reichweite, der guten Gebäudedurchdringung und dem geringen Leistungsverbrauch, was besonders in Verbindung mit batteriebetriebenen Sensoren von Vorteil ist. Durch das kontinuierliche Monitoring werden alle Anomalien im Betrieb erkannt, ausgewertet und klassifiziert. Anhand von individuellen Visualisierungen kann sich der Anlagenbetreiber schnell einen Überblick über die Entwicklung der Betriebsdaten verschaffen: Können die Anomalien zu Leistungseinbußen führen? Müssen Bestandteile gewartet oder ausgetauscht werden? Auf diese Fragen liefern die Daten schnelle und klare Antworten, bevor es zu Problemen kommt. Falls die Sensorik einen Instandsetzungsbedarf anzeigt, können Kunden dann auf das Dienstleistungsportfolio der Infraserv Höchst Prozesstechnik (IPT) zurückgreifen. Dadurch arbeiten Anlagenbetreiber nicht nur effizienter, sondern sparen auch Ressourcen ein.

Erfolgsfaktoren bei der Entscheidung für Predictive Maintenance-Projekte

Quelle: BearingPoint GmbH, Predicitive Maintenance Studie 2021

Herstellerunabhängige Vernetzung

Infraserv und IPT arbeiten herstellerunabhängig und statten jede beliebige Anlagenkonfiguration mit den für den Anwendungsfall benötigten Sensoren aus. Um die gesammelten Daten sicher zu verwalten, verwendet Infraserv eine eigene Cloud-Plattform. Zusätzliche Datenquellen und Prozessleitsysteme der Kunden können bei Bedarf angebunden werden. Das erlaubt eine weitergehende Analyse der Daten, um die Betriebsweise und -verfügbarkeit der Anlagen mithilfe der Data-Scientists und Spezialisten von Infraserv zu optimieren.

Dabei spielt die Fähigkeit von KI-Systemen, Muster in großen Datenmengen zu erkennen, die entscheidende Rolle. „Künstliche Intelligenz geht immer von einer Wahrscheinlichkeit aus“, erläutert André Busche-Rittich. Der KI-Forscher arbeitet seit eineinhalb Jahrzehnten mit Methoden des maschinellen Lernens und ist seit 2013 beim Ingenieurdienstleister Brunel Car Synergies am Standort Hildesheim beschäftigt. Beispielsweise bei Windkraftanlagen, die offshore installiert seien, entstehe durch den Einsatz von KI nachvollziehbar ein riesiger Mehrwert. „Stellen Sie sich vor, ein Dichtungsring hält der salzhaltigen Luft auf See nicht hundertprozentig stand – das können Sie frühzeitig daran erkennen, dass sich der Reibungswiderstand des Getriebes unvorhergesehen ändert“, erläutert Busche-Rittich.

Mithilfe von Predictive Maintenance lasse sich nun noch zusätzlich abschätzen, wann das geschädigte Getriebe den kritischen Bereich erreiche und drohe kaputtzugehen. „Predictive Maintenance ist das Interesse an der Tendenz zum Schlechten“, fasst Busche-Rittich zusammen.

Unternehmen könnten nun den idealen Zeitpunkt der Wartung abwarten – und beispielsweise Wartungstermine bündeln. „Anstatt drei Fahrten aufs Meer für drei unterschiedliche Anlagen durchzuführen, erledigt das Technikerteam alle drei Wartungen auf einmal.“

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