Das große Teilen: Wie nachhaltig ist Sharing Economy wirklich?

Zugang statt Eigentum, teilen statt kaufen: Wenn Produkte gemeinschaftlich von mehreren Menschen genutzt werden, muss weniger produziert werden und das schont Ressourcen und Umwelt – zumindest in der Theorie der Sharing Economy. Die Realität zeigt jedoch: Das Modell ist nicht per se so nachhaltig, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat.

Von Stefanie Hutschenreuter

„Sharing Economy goes Industry“ – der Claim von V-Industry ist Programm. „Wir haben das Geschäftsmodell von Airbnb und Uber in die Industrie gebracht. Wie die beiden bekannten Akteure der Sharing Economy bringen wir über eine Software-Plattform zwei Parteien schnell und bequem zusammen“, erklärt Thorsten Eller, der das Start-up gemeinsam mit zwei Mitstreitern 2018 gegründet hat. Nur dass über die V-Industry-Plattform nicht Privatleute ihre Wohnungen oder Autos teilen, sondern Industriebetriebe die freien Kapazitäten ihrer Maschinen anderen für deren Produktion zur Verfügung stellen. So lassen sich ohne großen Aufwand Zusatzerträge generieren und ohnehin vorhandene Ressourcen nutzen. Die Auftraggeber wiederum profitieren von einer schnellen, unbürokratischen Abwicklung. Mittlerweile kann das junge Unternehmen auf 153 Fertigungsmaschinen zugreifen.

"Wir haben das Geschäftsmodell von Airbnb und Uber in die Industrie gebracht"

Thorsten Eller, Mitgründer und Geschäftsführer von V-Industry

„Unsere 47 Produktionspartner sind fast zu 90 Prozent aus der Region Stuttgart. Das heißt, wenn ein Unternehmen hier in Baden-Württemberg bei uns Teile bestellt, dann kommen diese Teile auch aus der Region. Das spart CO2 ein. Daher erwähnen Unternehmen wie Festo die Zusammenarbeit mit uns auch in ihrem Nachhaltigkeitsbericht“, sagt Thorsten Eller. Für die Zukunft sieht der Gründer in seiner Idee aber noch weit größeres Potenzial in Sachen Nachhaltigkeit: „Wenn wir es hinbekommen, dass wir einer Industriesparte oder Kundengruppe immer und zu 100 Prozent die Maschine anbieten können, die der Kunde braucht, dann wird er sich in der Regel wenig ausgelastete Beistellmaschinen wie 3-D-Drucker gar nicht mehr selbst anschaffen.“ Letztlich würde das zu weniger Maschinen im Markt führen, weil die Verteilung der Produktion auf den bereits vorhandenen Maschinen effizienter stattfindet. Keine Frage, Thorsten Eller hat Großes vor.

Ökologische Schattenseiten

Ellers Vision zeigt: Angebote der Sharing Economy tragen jede Menge Potenzial in sich, positiv auf Umwelt und Klima zu wirken.

Denn tauschen, leihen, gemeinsam nutzen oder Gebrauchtes anstelle von Neuem zu kaufen spart dem Einzelnen nicht nur Geld, sondern hat auch zur Folge, dass Produkte möglichst viel und lange verwendet werden.

Hinzu kommt: Wer sich ein gebrauchtes Teil kauft, leiht oder eintauscht, muss sich kein Neues anschaffen. Insgesamt gesehen wird somit weniger produziert. Am Anfang der Kette senkt das den Ressourcenverbrauch, am Ende gibt es weniger Abfälle. Dr. Siegfried Behrendt, der am IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin seit Langem zu dem Thema forscht, illustriert die Dimensionen anhand von Ebay: „Allein auf dieser Plattform werden pro Jahr an die 115.000 Tonnen an Elektro- und Elektronikgeräten gehandelt. Das entspricht etwa einem Fünftel des Elektronikabfallstroms in Deutschland, der so vermieden wird.“

Ökologische Schattenseite

Behrendt betont aber auch, dass das nur die eine Seite der Medaille ist. Denn die Sharing Economy hat durchaus auch eine ökologische Schattenseite, die je nach Geschäftsmodell mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt ist. Wenn etwa eine 20 Jahre alte Waschmaschine mit einem exorbitant höheren Wasser- und Stromverbrauch als ein Neugerät auf Ebay den Besitzer wechselt und weiterläuft, ist das aus Klimaschutzgründen alles andere als wünschenswert. Und wenn für das eingesparte Geld mehr Produkte als vorher eingekauft werden, ist ebenfalls wenig gewonnen. „Wenn also der Zugang zum Konsum durch Sharing-Angebote erst ermöglicht wird oder wenn finanzielle Einsparungen infolge des Sharings für andere umweltbelastende Konsumoptionen verwendet werden, entstehen negative Auswirkungen aufs Klima. Diese sogenannten Rebound-Effekte sind durchaus signifikant, wie wir unter anderem in einer Untersuchung von Kleiderkreisel, der Online-Gebrauchtkleiderbörse, die jetzt unter dem Namen Vinted läuft, festgestellt haben.

Statt weniger Konsum wird das Schwungrad von Produktion und Konsum durch das Sharing dann noch beschleunigt“, erläutert Siegfried Behrendt. Je kommerzieller die Angebote werden und je weniger am Gemeinwohl orientiert, desto weniger nachhaltig sind sie in der Regel auch. Das bedeutet: Sharing allein nutzt der Umwelt wenig.

Behrendt plädiert daher dafür, dass das Sharing in einen nachhaltigen Kontext eingebettet wird. Unternehmen müssten gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und Nachhaltigkeit nicht nur als Feigenblatt, sondern als originären Bestandteil ihres Wirtschaftens verstehen – anders als beispielsweise Airbnb und Uber, die das Teilen massentauglich kommerzialisiert haben und für die negativen Auswirkungen ihres Geschäfts vielfach kritisiert wurden, eben genau weil sie sich ihrer ökologischen wie sozialen Verantwortung entziehen und sich als reine Vermittler sehen. Außerdem bedürfe es gesetzlicher und politischer Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich nachhaltige Geschäftsmodelle entwickeln könnten, so Behrendt.

Neubeginn nach Corona

Wenn es gelingt, das Sharing-Geschäft mit einem größtmöglichen Gemeinwohl zu verbinden, könnte die rasante Entwicklung der „Ökonomie des Teilens“ weiteren Aufwind erhalten – nach der Corona-Krise, die der Sharing Economy stark zugesetzt hat. Vor allem das Geschäft von Carsharing, Flatsharing oder Co-Working-Spaces kam durch die eingeschränkte Mobilität in den Lockdowns und die Angst der Menschen vor Ansteckung fast zum Erliegen.

Selbst Sharing-Angebote etablierter Handelsunternehmen strauchelten: Tchibo etwa stellte seine Mietplattform für Kinderkleidung & Co. im Januar 2021 ein. Auch Moia, der Ridesharing-Dienst von Volkswagen, der in Hamburg und Hannover mit Elektro-Kleinbussen Fahrgäste in einer Art Sammeltaxi transportiert, ließ den Betrieb vorübergehend ruhen. Doch es gibt auch Konzepte der Sharing Economy, die während der Lockdowns boomten: Nachbarschaftsplattformen wie Nebenan.de etwa, deren Mitgliederzahl sich nach Unternehmensangaben seit Mitte März 2020 auf aktuell 1,9 Millionen User verfünffacht hat. Sharing scheint also nach wie vor im Trend zu liegen und wird sich auch vom Corona-Schock wieder erholen, sind sich viele Marktbeobachter sicher.

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