Gründerinnen im „Boys Club“

Sie erfinden Strömungssonden aus dem 3D-Drucker, bringen grüne Chemie in die Pharmaindustrie oder entwickeln neue Therapien bei Herzinsuffizienz – drei Gründerinnen mischen mit ihren innovativen Start-ups die männerdominierte Technologiebranche auf. Was treibt sie an, was bringt sie voran – dies und mehr erfahren Sie in den folgenden Interviews.

31.05.2019, Interviews mit Katharina Kreitz, Sonja Jost, Dr. Claudia Ulbrich, geführt von Katrin Schlotter

Katharina Kreitz erfindet Strömungssonden aus dem 3-D-Drucker

Katharina Kreitz, Gründerin und Geschäftsführerin des Münchner Start-ups Vectoflow (www.vectoflow.de), entwickelt und fertigt mit ihrer Firma individuell angepasste Messsonden im 3D-Druck, mit den dazugehörigen Dienstleistungen und Software.

Frau Kreitz, was hat Sie zur Gründung Ihres Start-ups angetrieben?

Gibt es ein Problem, suche ich nach einer Lösung. Schon während meines Studiums an der Technischen Universität München, Maschinenbau mit Schwerpunkt Luft- und Raumfahrttechnik, habe ich mich bei Strömungsmessungen immer wieder über unpräzise Sensoren geärgert. Sie waren teuer, fragil und passten schlecht. Auch die Software war alles andere als anwenderfreundlich. Die Lösung und damit unsere Geschäftsidee: Strömungssonden aus dem 3D-Drucker. Mit diesem Verfahren lassen sich Strömungssonden besser an die jeweilige Anwendung anpassen, nicht nur in Form und Größe sondern auch bei der Wahl des richtigen Materials.

Was war Ihre größte Herausforderung?

Uns ist es gelungen, die kleinste und auch die heißeste Sonde der Welt mit Einsatztemperaturen von 1800°C zu entwickeln. Aber gerade am Anfang fiel uns eines richtig schwer: Kunden anzusprechen. Typisch Ingenieur, introvertiert und technikverliebt. Doch wir hatten Glück: Die ersten Kunden kamen direkt auf uns zu. Heute, mit inzwischen zehn Ingenieuren, stehen wir vor ganz anderen Herausforderungen. Mal sind es Exportkontrollrichtlinien in den USA, mal Verpackungsverordnungen in Indien, ständig gibt es etwas Neues.

„Eine unserer Dauerherausforderungen ist, wie wir bei immer komplexeren Themen, Prozessen und Produkten unsere Kultur bewahren, nicht ‚konzern-like‘ werden, also flexibel und offen bleiben. Denn das ist es, was Mitarbeiter und Kunden an uns mögen.“

Katharina Kreitz, Gründerin von Vectoflow

Macht es einen Unterschied, ob Frauen oder Männer gründen?

In unserer Branche gibt es nicht viele Frauen, auch nicht bei Gründungen. Mag sein, dass sie das Risiko scheuen. Es ist ja auch nicht leicht, sich jeden Tag in die erste Reihe zu stellen oder Vorträge vor großem Publikum zu halten. Gerade im technischen Bereich ist es wichtig, sich als Frau nicht unterbuttern zu lassen. Es ist ein Vorteil, als Paradiesvogel zu gelten – mit Ingenieurstitel und Knowhow in der Tasche. Grundsätzlich halte ich gemischte Gründungsteams für besser, in denen verschiedene Kompetenzen zusammenfließen. Das ist auch wichtig für das Auslandsgeschäft: Nach wie vor gibt es Länder, in denen Frauen null Chancen haben, egal wie qualifiziert sie sind.

Es heißt immer, Gründungen erfordern Mut – stimmt das?

Selbstverständlich! Gründungen erfordern Mut, aber auch Ausdauer und ein gutes Team. Das Risiko ist deutlich höher als bei einer Festanstellung. Einfacher ist es, aus dem Studium heraus zu gründen, wenn noch keine Kinder da sind, noch kein hoher Lebensstandard gesetzt ist. Ganz wichtig ist auch die Unterstützung von Netzwerken. Gute Starthilfe gaben uns Gründungsprogramme wie das EXIST-Gründerstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und auch UnternehmerTUM, das Zentrum für Innovation und Gründung an der TU München. Dort bereiteten wir uns auf den Markteintritt vor, kamen mit Investoren und Kunden zusammen und konnten die Hightech-Werkstatt „MakerSpace“ nutzen. Später waren wir auch Teil des Business Incubation Centre Bavaria der European Space Agency (ESA) in Oberpfaffenhofen, das den Transfer von Technologien und Anwendungen fördert, die ursprünglich für die Raumfahrt entwickelt wurden. Zwei Jahre nach der Gründung konnten wir bereits Gewinn einfahren. Man muss sich nur trauen. Von nichts kommt nichts!

Sonja Jost bringt grüne Chemie in die Pharmaindustrie

Sonja Jost, Mitgründerin und Geschäftsführerin des Green Chemistry Start-ups DexLeChem (www.dexlechem.com), ist ein der „25 Frauen, deren Erfindungen unsere Zukunft verändern“.

Frau Jost, was hat Sie zur Gründung Ihres Green Chemistry Start-ups angetrieben?

Dafür gibt es viele Gründe. Ich habe an der TU Berlin im Excellenzcluster für Katalyse geforscht, eine Erfindung gemacht und wollte, dass sie in die Anwendung kommt. Berlin ist die Start-up-City schlechthin, hier gibt es viele Gründungen, die mit einer App starten. Doch die Probleme der Welt lassen sich nicht allein damit lösen. Wir brauchen Industrie. Wir brauchen Produktion. Und: Wir verbrauchen zu viele Ressourcen. Die Industrie läuft, so wie sie heute produziert, auf eine Sackgasse zu – sie ist nicht nachhaltig genug. Warum also nicht im Industriebereich gründen? Mit unserem Start-up haben wir ein Verfahren für die Pharmaindustrie entwickelt, um Arzneimittelwirkstoffe kostengünstiger und auch umweltfreundlicher zu produzieren. Hierbei werden gelöste Katalysatoren wiederverwertet – und sie werden nicht wie bisher in Lösungsmitteln auf Erdöl- sondern in Wasser gelöst. Damit bringen wir grüne Chemie in die Konzerne, machen chemische Prozesse sauberer und effizienter.

Was war Ihre größte Herausforderung?

Die größte Hürde war sicherlich ein Team zu finden, das gut ist, sich viel traut und sich letztendlich auch vertraut. Da habe ich großes Glück gehabt. Wir waren hochmotiviert und wollten die Pharma-Branche mit unseren neuartigen Verfahren nachhaltig gestalten. Wir merkten dann aber schnell, dass die Erwartungshaltungen an junge Unternehmen extrem unrealistisch sind, denn niemand will der Erste sein, der mit einem Start-up ein Projekt macht. Zudem ist es schwierig bis unmöglich, Zugang zu den entsprechenden technischen Fachabteilungen zu erhalten. Unternehmen haben kaum Prozesse für die Zusammenarbeit mit Start-ups. Damit steht und fällt alles mit dem Engagement von einzelnen Personen. Die Anbahnung von Geschäften mit der Industrie ist sehr langwierig, es dauert ein bis drei Jahre bis Projektstart. Können wir uns das als Start-up – und als Industriestandort – leisten? Wir brauchen Strukturen, um den Zugang zu Innovationen über Start-ups sicherzustellen, Innovationsprogramme und Infrastrukturmaßnahmen für Chemie-Ausgründungen, steuerliche Forschungsförderung, Unterstützung des Mittelstands… Die Anforderungen an Nachhaltigkeit und Digitalisierung kann die Industrie allein nicht stemmen. Da ist die Politik gefragt. In anderen Ländern werden Unternehmen, die Geschäfte mit Start-ups machen, dabei auch finanziell unterstützt.

Macht es einen Unterschied, ob Frauen oder Männer gründen?

Das ist immer wieder ein Thema, doch ich selbst habe keine Unterschiede bemerkt. Sowohl im Chemie-Studium, bei Dissertationen und auch bei Gründungen gibt es in Deutschland einen hohen Frauenanteil, zwischen 25 und 40 Prozent. In der herkömmlichen, medial präsenten Start-up-Szene ist das deutlich geringer.

Es heißt immer, Gründungen erfordern Mut – stimmt das?

Auf jeden Fall. Mir fällt immer wieder auf, dass viele alles bis ins Kleinste durchdacht haben und glauben, alles allein schaffen zu müssen. Das ist aber nicht so. Man geht immer nur einen Schritt nach dem anderen, nicht zehn auf einmal. Dafür braucht man ein gutes, verlässliches Team. Gemeinsam ist man sowieso mutiger.

Claudia Ulbrich entwickelt neue Therapien bei Herzinsuffizienz

Co-Founder und Geschäftsführerin des Biopharma-Start-ups Cardior Pharmaceuticals

Frau Dr. Ulbrich, neben Ihrer eigenen Unternehmensberatung sind Sie Co-Founder und Geschäftsführerin der Cardior Pharmaceuticals GmbH. Was treibt Sie an?

Besonders in der Medizin ist der rasante Fortschritt ein zentrales, nahezu allgegenwärtiges Thema. Therapien, Medikamente und Regularien verändern sich stetig – und werden stetig verbessert: durch Forschung, neue Technologien und durch Erfahrung. Genau das ist es, was mich am meisten an der Medizin fasziniert und mich später auch zur Gründung oder Mitbegründung unterschiedlicher technologischer Start-ups in der Life Science-Branche geführt hat: Etwas verändern wollen, um es zu verbessern.

Was war Ihre größte Herausforderung?

Bei meiner ersten Gründung ist über Nacht ein Pharmapartner ausgestiegen, der das Unternehmen maßgeblich mitfinanziert hat. Das war das Schlimmste, was mir in meiner beruflichen Laufbahn passiert ist. Über Nacht war meine Firma – und damit die größte Herausforderung, der ich mich je gestellt hatte, mein eigenes Projekt, für das ich verantwortlich war – quasi kurz vor dem Aus. Wir haben den Ausstieg damals überlebt, weil wir nicht den Kopf in den Sand gesteckt haben, sondern schnell auf neue Investoren zugegangen sind und sie davon überzeugen konnten, die Firma neu zu finanzieren. So bekamen wir eine zweite Chance.

Macht es einen Unterschied, ob Frauen oder Männer gründen?

Ich bin von den Vorteilen gemischter Gründungsteams überzeugt, in denen jeder sein Talent, seinen Charakter und durchaus auch emotionale Intelligenz einbringen kann. Ich konnte beobachten, dass Frauen häufig strukturierter in Führungspositionen agieren. Oft heißt es, Frauen seien weniger risikofreudig. Aber das glaube ich nicht. Ich denke, dass Frauen ein kalkulierteres Risiko eingehen als manche Männer. Zudem habe ich die Erfahrung gemacht, dass Frauen teamorientierter als Männer sind. Leider halten sich Frauen in der Technologiebranche oft für nicht ausreichend qualifiziert für eine höhere Position. Das ist sehr schade! Wenn Frauen nur aus mangelndem Selbstbewusstsein ihre Fähigkeiten nicht abrufen und auf Führungspositionen verzichten, gehen Unternehmen sehr viele Talente verloren.

Ich habe als Gründerin und Managerin konsequent meinen Weg verfolgt und gleichzeitig immer darauf geachtet, dass ich auch Frau bleibe. Seit meiner ersten Selbständigkeit habe ich eine Doppelrolle als Unternehmerin und Mutter. Meine beiden Kinder sind Eckpfeiler meines Lebens. In allen Firmen, in denen ich Führungspositionen hatte, habe ich daher immer darauf geachtet, flexible Arbeitsmodelle wie Homeoffice oder Jobsharing zu ermöglichen.

Es heißt immer, Gründungen erfordern Mut – stimmt das?

Selbstständigkeit erfordert viel Mut – und dieser Mut muss auch von außen gestärkt werden. Politik, Gesellschaft, Partner und Unternehmen sind gefragt, Gründern und Gründerinnen Rückendeckung zu geben, in dem sie z. B. Mentoring bereitstellen, Netzwerke für Kapitalgeber zur Verfügung stellen und Offenheit und Akzeptanz für ihre neuen Ideen aufbringen. Es sollte vermittelt werden, dass es okay ist, mutig zu sein, ein eigenes Unternehmen zu gründen und auch mal zu scheitern. Um Fortschritt und Verbesserung voranzutreiben, müssen eigene Ideen früh unterstützt und das Thema Gründen in der Technologiebranche präsenter werden.

Der Artikel erschien ursprünglich 2019 in der perspectives #6, Themen-Special: Mut

Bildquelle Stage: Vectoflow GmbH; Jelka von Langen; Cardior Pharmaceuticals GmbH

Kontakt