25.06.2024

Sauberes Trinkwasser ist kein Selbstläufer

Die Trinkwasseranlage steht für viele Labor- oder Gebäudenutzer nicht im Fokus. Ganz nach dem Motto: „In Deutschland kommt Trinkwasser doch aus der Leitung.“ Dass sauberes und keimfreies Wasser keine Selbstverständlichkeit ist und dass jeder, der ein Labor betreibt hier seine Hausaufgaben und Betreiberpflichten zu erledigen hat, wird den meisten erst klar, wenn man sich tiefer mit diesem Thema auseinandersetzt.

Porträt Maximilian GahmigPorträt Maximilian Gahmig

Verantwortlicher für die Einhaltung der Trinkwasserhygiene
Maximilian Gahmig, Infraserv Höchst

Interview mit Maximilian Gahmig, Verantwortlicher für die Einhaltung der Trinkwasserhygiene

Wir sprachen mit Herrn Maximilian Gahmig, Infraserv-Experte und Verantwortlicher für die Einhaltung der Trinkwasserhygiene in einer Vielzahl von Gebäuden am Industriepark Höchst, einem der größten Chemie- und Pharmastandorte Europas.

Herr Gahmig, könnten Sie uns zunächst einen Überblick darüber geben, was genau unter Trinkwasserhygiene zu verstehen ist und welche gesetzlichen Grundlagen es dabei zu beachten gibt?

Maximilian Gahmig: Trinkwasserhygiene umfasst alle Maßnahmen, die dazu beitragen, dass Trinkwasser in einwandfreier Qualität zur Verfügung steht. Dies beginnt bei der Wassergewinnung und reicht bis zur Verteilung in den Gebäuden. Wesentlich sind dabei die Vorgaben der Trinkwasserverordnung (TrinkwV), die die Grenzwerte für verschiedene mikrobiologische und chemische Parameter im Trinkwasser festlegt. Die Verordnung gibt zudem vor, in welchen Intervallen und auf welche Weise das Wasser zu prüfen ist, um eine Gefährdung der Gesundheit der Nutzer zu verhindern. Diese Regelungen sind besonders streng, da Verunreinigungen im Trinkwasser schnell zu ernsthaften Gesundheitsproblemen führen können.

Ein zentraler Punkt der Trinkwasserhygiene ist das Netzschutzkonzept. Können Sie uns erklären, was man darunter versteht?

Maximilian Gahmig: Das Netzschutzkonzept ist ein integraler Bestandteil der Trinkwasserhygiene und zielt darauf ab, eine Verunreinigung des Trinkwassernetzes zu verhindern. Darin werden die Leitungen und unterschiedlichen Trinkwasserverbraucher dokumentiert und hinsichtlich ihrer Kontaminationsgefahr eingestuft. Kritisch sind hier vor allem Maschinen und Laborgeräte, die fest mit dem Trinkwassernetz verbunden sind. Um sicherzustellen, dass auch bei einem Druckabfall im Hauptnetz das Wasser aus industriellen Prozessen nicht in das allgemeine Trinkwassernetz zurückfließen kann, müssen diese Bereiche des Wassernetzes gegebenenfalls durch Netzschutzeinrichtungen vom Hauptnetz abgetrennt werden. Hier ist es wichtig geeignete Sicherheitsarmaturen zu verwenden, denn normale Trinkwasserarmaturen stellen keine ausreichende Barriere für mikrobiell oder chemisch verunreinigtes Wasser dar.

Deshalb ist ein gut durchdachtes Netzschutzkonzept besonders in einem industriellen Umfeld mit vielfältigen chemischen Prozessen essenziell, um die Trinkwasserqualität zu sichern.

Welche Bedeutung hat die regelmäßige Prüfung der Wasserqualität, und wie wird diese konkret durchgeführt?

Maximilian Gahmig: Durch die regelmäßige Prüfung der Wasserqualität wird sichergestellt, dass alle gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden und das Wasser frei von gesundheitsschädlichen Keimen und Stoffen ist. Diese Prüfungen erfolgen mindestens jährlich, oft aber auch in kürzeren Intervallen, um eine kontinuierliche Überwachung zu gewährleisten. Die Proben werden an verschiedenen Punkten im Netz entnommen und auf eine Vielzahl von Parametern untersucht, darunter mikrobiologische Keime wie Legionellen, E.Coli oder Pseudomonaden, aber auch chemische Stoffe wie Schwermetalle. Die Ergebnisse dieser Prüfungen sind die Basis für eventuelle Anpassungen und Maßnahmen, um die Wasserqualität zu sichern. Das kann ganz schön aufwendig werden.

Trinkwasserhygiene

Im Industriepark Höchst betreuen wir 980 Gebäude, jedes mit einer Vielzahl von Entnahmepunkten. Daher betreiben wir auch unsere eigenen Labore für die Analyse. Außerdem haben wir eigene Teams für Probenahme, Interpretation der Ergebnisse und das Ableiten konkreter Maßnahmen.

Maximilian Gahmig, Infraserv-Experte und Verantwortlicher für die Einhaltung der Trinkwasserhygiene

Die Richtlinie VDI/DVGW 6023 schreibt einen vollständigen Wasseraustausch alle 72 Stunden im gesamten Leitungsnetz vor. Warum ist das wichtig und welche Herausforderungen bringt das mit sich?

Maximilian Gahmig: Der Wasseraustausch alle 72 Stunden soll verhindern, dass Wasser in den Leitungen stagniert, da stagnierendes Wasser ein idealer Nährboden für Keime und Bakterien ist. Diese Anforderung stellt insbesondere in Bereichen mit geringer Nutzung eine Herausforderung dar. Beispielsweise müssen wir sicherstellen, dass in selten genutzten Bereichen wie Besprechungsräumen oder während der Ferienzeiten in Büros das Wasser regelmäßig ausgetauscht wird. Dies erfordert eine Mindestwasserabnahme und entsprechend dimensionierte Rohrdurchmesser, um einen kontinuierlichen Wasserfluss zu gewährleisten.

In der Praxis bedeutet dies oft, dass technische Maßnahmen wie automatische Spülvorrichtungen eingesetzt werden müssen, um die Hygieneanforderungen zu erfüllen.

Wie kann so ein automatisches Spülen aussehen? Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Maximilian Gahmig: Automatische Spülarmaturen und deren Einbindung in die Gebäudeleittechnik sind essenzielle Maßnahmen, um die Einhaltung der Trinkwasserhygiene sicherzustellen. Sie sorgen dafür, dass in festgelegten Intervallen Wasser durch die Leitungen gespült wird, um Stagnation zu verhindern. Diese Systeme können so programmiert werden, dass sie den spezifischen Anforderungen des Gebäudes entsprechen, und sie sind besonders nützlich in Bereichen mit unregelmäßiger Nutzung. Die Integration in die Gebäudeleittechnik ermöglicht es, die Spülvorgänge zentral zu überwachen, zu steuern und zu dokumentieren. So können wir sicherstellen, dass alle notwendigen Spülvorgänge auch tatsächlich durchgeführt werden und gleichzeitig den Wasserverbrauch optimieren. Diese Technologie bietet zudem die Möglichkeit, bei Abweichungen sofortige Maßnahmen zu ergreifen, wodurch die Trinkwasserhygiene noch besser gesichert wird. Je nach Größe des Trinkwassernetzes und Ausgangslage im Projekt können wir diese Überwachung und Steuerung der Trinkwasserversorgung mit Plug & Play Lösungen abdecken oder auch in eine bestehende übergeordnete Gebäudeleittechnik integrieren. Dadurch kann dann das gesamte Gebäude zentral gesteuert werden.

Ein weiteres Problem sind Totleitungen. Was genau ist das und warum sind sie so problematisch?

Maximilian Gahmig: Totleitungen sind Abschnitte im Wassernetz, in denen kein regelmäßiger Wasseraustausch stattfindet. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Waschbecken demontiert wird. Die Leitungen werden stillgelegt, aber nicht vollständig vom Netz getrennt. In den verbleibenden Leitungen fehlt die notwendige Zirkulation, wodurch sich Keime und Bakterien ansiedeln und vermehren können.

Problematisch sind Totleitungen besonders deshalb, weil sie oft schwer zu identifizieren und zu sanieren sind.

Da sie mit das größte Risiko der Trinkwasserhygiene darstellen, schreibt beispielsweise die VDI Norm 6023 beim Stilllegen von Leitungen den Rückbau oder die Trennung unmittelbar am letzten durchströmten Abzweig der Anlage vor. So wird sichergestellt, dass stillgelegte Leitungen vollständig vom Netz getrennt sind und keine Gefahr für die Trinkwasserhygiene darstellen.

Wie wichtig ist die Dokumentation des Wassernetzes und welche Vorteile bringt eine Simulation des Spülverhaltens mit sich?

Maximilian Gahmig: Eine lückenlose Dokumentation des Wassernetzes ist von großer Bedeutung, um die Struktur und die Funktionsweise des Netzes vollständig zu verstehen und überwachen zu können. Dies umfasst die genaue Erfassung aller Leitungen, Armaturen und Netzschutzvorrichtungen sowie der Raumnutzung in den Gebäuden. Die Simulation des Spülverhaltens bietet darüber hinaus die Möglichkeit, den Wasseraustausch in verschiedenen Szenarien zu analysieren und zu optimieren. Beispielsweise führt der Trend zum Mobile Office dazu, dass viele Büros und Toiletten seltener genutzt werden, was zu Problemen bei der Trinkwasserhygiene führen kann. Durch eine Simulation können wir feststellen, wie lange und in welchem Umfang gespült werden muss, um eine vollständige Erneuerung des Wassers zu gewährleisten. Dies trägt erheblich zur Sicherheit, aber auch zur Effizienz der Spülmaßnahmen bei, da es hilft, den Wasserverbrauch zu minimieren.

Dies trägt erheblich zur Sicherheit, aber auch zur Effizienz der Spülmaßnahmen bei, da es hilft, den Wasserverbrauch zu minimieren.

Besonders hilfreich ist so eine Simulation auch bei älteren Trinkwassernetzen, die ursprünglich für eine höhere Nutzerzahl ausgelegt waren. Wenn früher 100 Produktionsmitarbeiter 30 Duschen zweimal täglich nutzten und heute nur noch 25 Mitarbeiter pro Tag, reicht die Wasserbewegung oft nicht aus, um eine ausreichende Hygiene zu gewährleisten. Durch die Simulation wird klar, wo und wie intensiv gespült werden muss, um einwandfreies Wasser zu gewährleisten. Das ist insbesondere in Duschräumen wichtig, da beispielsweise Legionellen und Pseudomonaden besonders gefährlich sind, wenn sie über feinen Sprühnebel eingeatmet werden.

Sie betreuen im Industriepark Höchst viele Gebäude mit integrierten Laboren. Können Sie uns ein Beispiel aus dem Laborumfeld nennen, wo die Trinkwasserverordnung gilt, aber gerne vergessen wird?

Maximilian Gahmig: Wir verantworten nicht nur die Trinkwasserversorgung für alle Mietgebäude am Standort Höchst, Infraserv betreibt dort auch viele eigene Labore. Daher beschäftigen wir uns sehr intensiv mit der Laborthematik und mit dem Thema Trinkwasserhygiene im Labor. Ein häufig übersehenes Beispiel aus dem Labor sind beispielsweise Augenduschen und Notduschen. Laut Laborrichtlinie müssen diese Duschen monatlich auf ihre Funktion geprüft werden. Die Trinkwasserverordnung und VDI-Norm geht hier jedoch einen Schritt weiter und fordert, dass das Wasser in der Zuleitung zum Duschkopf alle 72 Stunden ausgetauscht wird. Um diese Anforderung leichter zu erfüllen, können beispielsweise angepasste Duschen mit Armaturen direkt am Duschkopf verwendet werden. So verringert sich die Stagnationsleitung und der Wasseraustausch kann schnell und effizient durchgeführt werden.

Zum Abschluss, Herr Gahmig, was raten Sie Unternehmen in Bezug auf Trinkwasserhygiene?

Maximilian Gahmig: Die Sicherstellung der Trinkwasserhygiene ist eine komplexe Aufgabe, die fundiertes Fachwissen und kontinuierliche Aufmerksamkeit erfordert. Unternehmen sollten daher unbedingt mit spezialisierten Experten zusammenarbeiten, um die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten und die Gesundheit der Nutzer zu schützen.

Infraserv Höchst bietet umfassende Dienstleistungen und Beratung nicht nur für den Industriepark Höchst, sondern auch für Kunden an anderen Standorten an. Wir unterstützen unsere Kunden bei der Implementierung und Überwachung von Hygienemaßnahmen und stehen ihnen mit unserem Fachwissen zur Seite, um eine optimale Trinkwasserqualität zu gewährleisten.

Herr Gahmig, wir danken Ihnen für dieses aufschlussreiche Gespräch!

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