„Chemisches Recycling ist eine sinnvolle Ergänzung“

Die globale Plastikflut wächst unaufhörlich und die Suche nach effektiven Recyclinglösungen wird immer dringender. Doch wie lässt sich eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe etablieren, die die Abfallmengen reduziert und gleichzeitig neue Verwertungswege erschließt?

Interview mit Christian Krüger, Head of Advocacy Chemical Recycling bei der BASF SE, geführt von Christina Lynn Dier

In einer Schlüsselfunktion ist Christian Krüger Teil der BASF-Reise für den Übergang zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Er vertritt BASF in verschiedenen externen Expertenfunktionen und bietet Vorträge zum Thema Kreislaufwirtschaft und chemisches Recycling an.

Herr Krüger, weltweit fallen jährlich rund 250 Millionen Tonnen Plastikmüll an. Davon werden nur etwa 20 Prozent recycelt und im Stoffkreislauf gehalten. Welche Maßnahmen sind notwendig, um künftig mehr Kunststoffabfälle recyceln zu können?

Kunststoffe können sehr nützliche Funktionen erfüllen, zum Beispiel verhindern sie als Verpackungen den Verderb von Nahrungsmitteln, machen Autos leichter und dämmen Häuser. Kunststoffabfälle sind jedoch zu einer globalen Herausforderung geworden. Schauen wir uns die Lage in Europa an: Aktuell wandern 24,5 Prozent der Kunststoffabfälle auf die Deponie, 41 Prozent werden energetisch verwendet und 31 Prozent werden gesammelt, um mechanisch recycelt zu werden. Nur 18 Prozent landen dann in recyceltem Kunststoff. Ziel einer Kreislaufwirtschaft muss es aber sein, weniger zu verbrennen oder zu deponieren – und das geht nur, indem man mehr recycelt.

Wir sind überzeugt, dass die Recyclingverfahren weiter verbessert werden, nicht nur die chemischen, sondern auch die mechanischen und organischen. Das optimale Ergebnis lässt sich aus der Kombination erzielen.

Welchen Beitrag leistet BASF mit dem sogenannten ChemCycling-Projekt?

In diesem Projekt zum chemischen Recycling von Kunststoffabfällen konzentrieren wir uns auf Partnerschaften mit Fokus auf Pyrolysetechnologie. Dabei geht es um Kunststoffabfälle, die aus technologischen, ökonomischen oder ökologischen Gründen nicht mechanisch recycelt werden können. Beispiele sind verunreinigte Kunststoffe, Abfallfraktionen aus verschiedenen Kunststoffarten, die nicht weiter sortiert werden, oder Altreifen, die nicht anderweitig recycelt werden. Unsere Partner sind Quantafuel, ARCUS und Pyrum. Quantafuel und ARCUS sind spezialisiert auf die Pyrolyse von gemischten Kunststoffabfällen, Pyrum auf die Pyrolyse von Altreifen. ARCUS – angesiedelt im Industriepark Höchst – betreibt die erste kommerzielle Pyrolyseanlage für gemischte Kunststoffabfälle in Deutschland. Die Partnerschaften bilden die Grundlage dafür, eine breite Lieferbasis für Pyrolyseöl aufzubauen und Kunden zertifizierte Produkte aus dem chemischen Recycling in kommerziellem Maßstab anbieten zu können.

Wie funktioniert chemisches Recycling konkret?

Unter chemischem Recycling versteht man thermische und Remonomerisierungstechnologien, die lange Kunststoffpolymerketten durch chemische Reaktionen zerlegen. Bei thermischen Verfahren wie der Pyrolyse werden die Kunststoffe in ihre Grundbausteine zerlegt, während bei der Remonomerisierung die Monomere wiedergewonnen werden. Diese Sekundärrohstoffe können fossile Rohstoffe in der chemischen Produktion ersetzen. Mit der Pyrolyse wird aus Kunststoffabfällen oder Altreifen ein Sekundärrohstoff, Pyrolyseöl, gewonnen. Dieses Öl speisen wir am Anfang der Wertschöpfungskette in die Verbundproduktion von BASF ein, wodurch fossile Ressourcen eingespart werden. Über einen von unabhängigen Prüfern nach einem anerkannten Zertifizierungssystem auditierten Massenbilanzansatz wird der Anteil an recyceltem Rohstoff ausgewählten im Verbund hergestellten Produkten zugeordnet. Diese massenbilanzierten Ccycled®-Produkte sind unabhängig zertifiziert und haben exakt die gleichen Eigenschaften wie konventionelle Produkte.

Welche Einsatzoptionen gibt es? Und welche neuen Produkte entstehen aus Kunststoffabfällen?

Mithilfe des chemischen Recyclings können massenbilanzierte Produkte in Neuwarequalität hergestellt werden – ein überzeugendes Merkmal gerade für Industrien, die keine Kompromisse machen können, wie Anwendungen für Medizin, Lebensmittelkontakt oder Automobil.

BASF-Kunden haben Ccycled®-Produkte in verschiedenen Industrien erfolgreich eingeführt. Beispielsweise halten Transportboxen aus Styropor® Ccycled® die Temperatur von frischem Lachs, italienischem Speiseeis oder pharmazeutischen Produkten niedrig. Obst und Gemüse sowie Käsesorten wie etwa Mozzarella bleiben in Verpackungen mit Ultramid® Ccycled® länger genießbar. In Textilien wie funktionaler Outdoorkleidung, Damenunterwäsche und Garnen kommt ebenfalls Ultramid® Ccycled® zum Einsatz. Nicht zuletzt werden massenbilanzierte Materialien in sicherheitsrelevanten Teilen im Automobil oder in Elektronikbauteilen eingesetzt.

Wie schätzen Sie die mittel- und langfristigen Potenziale ein?

Die Studie „ReShaping Plastics“ von SystemIQ aus dem Jahr 2022 geht im Szenario einer Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe davon aus, dass das chemische Recycling von Kunststoffabfällen aus den Sektoren Verpackung, Haushaltswaren, Automobil und Bauwesen in Europa im Jahr 2030 auf rund 11 Prozent steigen kann. Das mechanische Recycling wächst parallel zum chemischen Recycling und bleibt die bedeutendste Methode, Kunststoffe zu recyceln. Während sortenreine Kunststoffabfälle mechanisch recycelt werden sollten, kann das chemische Recycling für gemischte Kunststoffabfallströme – beispielsweise bestehend aus Polyethylen, Polypropylen und Polystyrol – eingesetzt werden, für die eine weitere Sortierung nicht wirtschaftlich ist. Auch aktuelle Studien von Chemistry4Climate und Agora Energiewende kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Demnach ergänzt das chemische Recycling das mechanische Recycling in sinnvoller Weise.

Was sind die Voraussetzungen, um diese Potenziale auch tatsächlich zu heben?

Bei der Umsetzung des chemischen Recyclings stehen wir vor einigen Herausforderungen. Zum Beispiel sind noch technologische Hürden zu nehmen, wie die Verbesserung der Ausbeute bei der Pyrolyse und die Aufreinigung des Pyrolyseöls, um es in größeren Mengenanteilen in die petrochemischen Anlagen einzuspeisen. Die Pyrolyse an sich ist ein effizienter Prozess. Rund 70 Prozent der Kunststoffabfälle können in Sekundärrohstoffe umgewandelt werden. In den nächsten zehn Jahren ist mit einer Verbesserung der Effizienz zu rechnen. Der Teil des Abfalls, der nicht in Rohstoffe umgewandelt werden kann, sondern zu Gas pyrolysiert wird, wird fast vollständig zur Erzeugung der für den Prozess erforderlichen Energie verwendet. Der Bedarf an externer Wärmeenergie ist sehr gering. Dennoch lässt sich durch einen nachhaltigeren Strommix die Ökobilanz des chemischen Recyclings verbessern.

Ökonomisch betrachtet, ist Sekundärrohstoff aus chemischem Recycling auf absehbare Zeit teurer als beispielsweise fossiles Naphtha, weil er mittels mehrstufiger Verfahren erzeugt wird. Um die Investitionssicherheit der Recycler und die Zahlungsbereitschaft der Kunden zu fördern, bedarf es eines förderlichen regulatorischen Umfelds mit einer Anerkennung des chemischen Recyclings bei der Berechnung von Rezyklat-Einsatzquoten und einer Akzeptanz des flexiblen Massenbilanzansatzes.

Was ist Ihre Vision mit Blick auf eine optimale Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe?

Das chemische Recycling kann ergänzend zum mechanischen Recycling helfen, europäische und industriespezifische Recyclingquoten zu erreichen – vorausgesetzt, der regulatorische Rahmen lässt dies zu.

Dann kann das chemische Recycling zu einer Verringerung der energetischen Verwertung von Kunststoffabfällen und damit zur notwendigen Reduzierung der CO2-Emissionen beitragen und den Kohlenstoff im Materialkreislauf halten. Der Einsatz von Sekundärrohstoffen, die über das chemische Recycling gewonnen werden, verringert den Bedarf an fossilen Rohstoffen und sichert zugleich die Rohstoffnachfrage der Zukunft ab.

Vielen Dank für das Interview!

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